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Kinski | 2023 | Acryl, Leinwand | 140 x 160 cm


Monster

[ Auszug ]

Kurzgeschichte von Joachim Speidel


Wenn ich an Klaus denke, frage ich mich manchmal, ob ich es nicht war, der aus ihm ein Monster gemacht hat.
Sie kennen doch Klaus? Klaus Kinski? Klar, kennen Sie ihn – diesen durchgeknallten, ausgeflippten, überdrehten Flegel, Rüpel, Wüstling, kurz: diesen Drecksack, dieses fleischgewordene Ekelpaket.
Aber wissen Sie was? Es gab auch mal einen anderen Klaus Kinski. Den habe ich Anfang der Sechzigerjahre kennengelernt. Ohne Flachs – damals war er der netteste, der sympathischste, ja, schüchternste Mensch, den man sich vorstellen konnte.
Ich war damals sogar eine Zeit lang mit ihm befreundet gewesen. Also richtig befreundet! Ich war Stuntman beim Film – oder wie es damals hieß – „Sensationsdarsteller” oder ganz schlicht „Double”. Ich war der, der immer die Treppe herunterfiel, der aus dem Fenster sprang oder später, als die Winnetou-Filme kamen, vom Pferd geschossen wurde.
Klaus und ich lernten uns bei einem der frühen Edgar-Wallace-Filme kennen. Während ich der eher extrovertierte Typ bin, war er der eher introvertierte Typ. Das kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen, oder? Und er traute sich nicht allzu viel zu. Ich musste ihn manchmal richtig vor die Kamera schubsen, so zögerlich war er.
In diesen alten Edgar-Wallace-Filmen spielte Klaus nicht selten die Irren, die Psychopathen, die Wahnsinnigen. Ich fand, er hat sie richtig gut gespielt, vor allem weil ich ja wusste, dass er privat ganz anders war.
Bei der Kritik sind die Filme ja nicht gut weggekommen. Man hat sie nicht für voll genommen – genauso wenig wie Klaus. Ihn hat das furchtbar getroffen. Er konnte mit Kritik nicht umgehen. Egal von wem sie kam. Doch anstatt seinen Kritikern die Meinung zu geigen, ihnen mal richtig den Kopf zu waschen, zog er sich zurück und machte die Vorwürfe und die Kritik an sich und seiner Person fest. Seine Wutanfälle richteten sich gegen sich selbst. Als ich ihn kennenlernte, hatte er ja auch schon etliche Selbstmordversuche hinter sich.
Irgendwann konnte ich das nicht mehr mit ansehen und hab gesagt: „Klaus”, hab ich gesagt, „Klaus, du bist viel zu nett zu deinen Mitmenschen. Sogar zu offensichtlichen Arschlöchern bist du zu nett. Die dürfen dir nicht länger auf dem Kopf rumtanzen. Du darfst dir nicht alles von ihnen gefallen lassen.” Genau so habe ich es ihm gesagt und mehr noch, ich hab ihm auch gesagt, dass es immer besser sei, wenn man mal explodiert, als wenn man implodiert.
Wir haben uns dann für die nächsten Jahre aus den Augen verloren. Aber ich habe gehört, dass er später – ob beim Dreh der Italo-Western oder bei seinen Jesus-Rezitationen – meinen Rat beherzigt und jeden unerbittlich niedergemacht und niedergebrüllt hat, der ihm in seinen Augen dumm gekommen ist.
Getroffen haben wir uns erst wieder Anfang der Achtzigerjahre. Ich wurde für Altmänner-Stunt-Aufnahmen für den Film „Fitzcarraldo” gebucht und flog dafür nach Peru. Klaus spielte die Hauptrolle, Regie führte Werner Herzog, mit dem er schon etliche Filme gedreht hatte.

[…] 

Die komplette Geschichte ist im Buch „Tote Ratten und Gummibärchen – von leichter Schwere und schwerer Leichtigkeit“ enthalten.
ISBN 978-3-98576-043-5



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